Anstelle von klassischen Portraits eröffnet sich dem Auge des Betrachters eine Reihe riesiger Rücken, jeder mit seinem Charakter. Die Graphitzeichnungen kennzeichnen den subtilen Übergang von den Konventionen der klassischen Zeichnung zu modernen Tendenzen und zeigen ein grenzenloses, bei weitem nicht ausgeschöpftes Potential, das seine Wurzeln in der Klassik hat, aber sich heute ziemlich schwer interpretieren lässt.
Der Künstler epatiert den Betrachter, indem er bei ihm den Wiedererkennungseffekt des Dargestellten provoziert und ihm dadurch die Chance gibt, stereotypische Denkweise zu überwinden und die Wahrnehmung in die Ebene körperlicher Resonanzen zu übertragen, d.h. Schmerz, menschliche Kraft, Verwundbarkeit und Vollkommenheit. Ähnlich wie das Mittel der Variation in der Musik die Wirkung des Hauptthemas verstärkt, generiert die ganzheitliche Reihe dieser monumentalen Gestalten ein episches Bildnis der Wucht des menschlichen Geistes. Und außerdem ist das „Rückenzeigen“ hier ein symbolisches Zeichen des Protestes, eine Herausforderung, eine Selbstisolierung.
Als Maß der realistischen Darstellung, der Konkretik jeder vom Künstler geschaffenen Gestalt gilt stets deren Assoziationsfähigkeit bei der Betrachtung, und diese wird von Kirill Chelushkin genauestens psychologisch errechnet. Die weitere Interpretation führt in die Ebene der Abstraktion und wirkt zusammen mit der Erkennbarkeit der Gestalten schockierend, ja hypnotisch. So bietet die Darstellung der menschlichen Gestalt von der Rückenseite her das Minimum an Information über das jeweilige Objekt an, aber das Maximum an Bedeutung, was das gesamte Gemälde betrifft. Mit diesem Kunstgriff, welcher sich auf Verständnis für metaphysische Tiefen der menschlichen Wahrnehmung stützt, weckt der Maler einen ganzen Fluss an Erlebnissen beim Betrachter, mobilisiert seine Fantasie, verleiht dem Gesehenen individuelle Färbung und erweitert die vom Künstler selbst markierten Grenzen.
Die Idee des Projektes ZURÜCK fand ihre Verwirklichung in Form einer Videoskulptur, es ist eine Art „umgedrehter Raum“, „umgedrehtes Ereignis“. Im Gegensatz zu den meisten künstlerischen Techniken, die einen Durchbruch in den Raum suchen, kann man hier eher vom gegenteiligen Prozess reden, vom Konvertieren des Raums bzw. des Ereignisses zum Gegenstand, zum Objekt.
In Chelushkins Videoskulptur wird die flache Abbildung, die Projektion, über ihr eigenes plastisches Modell gezogen.
Die Plastik visualisiert das Video, während das Video durch die Plastik materialisiert wird. Dabei erzeugen die beiden Substanzen – teils spontan, teils vom Künstler gewollt – die dritte Substanz, eine lebendige dreidimensionale Darstellung, gleichzeitig surrealistisch und erkennbar, gefüllt mit Dynamik und innerem Leben.
Beide Konstituenten – die weiße Skulptur und das Video – sind nicht autark. Die Idee dieser seltsamen Formbildung eröffnet sich, sobald das LICHT die dafür vorbereitete Oberfläche berührt. Kino, Photodokumentation und Zeichnungen nehmen ihre Form an und beginnen, im weißen, schwerelosen, künstlichen Material zu SEIN.
Durch diese Erkenntnisse macht der Künstler einen neuen Zug im Spiel der Vernunft, in der Berührung des Unberührbaren.
Das inhaltliche Aufdemkopfstehen des Gegenstandes wie auch des ganzen Raums wird durch die umgedrehte Videoprojektion verstärkt, und sie ergänzt und verschärft sogar die Gesamtidee der Ausstellung.