In ihrer Serie „Reproduction“ sucht Taisia Korotkova Eindrücke und Erfahrungen, die sie bei Besuchen in Geburtskliniken städtischer Krankenhäuser gesammelt hat, in das aus dem sozialistischen Realismus stammenden Genre des „Produktionsbildes“ einzubinden und es gleichsam neu zu interpretieren. Mit großer Akribie verfolgt die 1980 in Moskau geborene Künstlerin eine mögliche Um- oder Neudeutung dieses Genres, das meist typische Szenen aus dem Alltag der Arbeiter/arbeitenden Klasse thematisierte.
Ihren Fokus legt sie auf das Züchten von Kindern mit Hilfe fabrikartiger Labormethoden, wie sie in Zeiten der Sowjetunion/UdSSR für die kollektive Agrarwirtschaft oder die industrielle Arbeit angewendet wurden. Taisia Korotkova weist mit ihrer Technik, die eine idealisierte, heroische Romantik abbildet, auf die Kälte der Wissenschaft und ihrer Mechanik hin.
Neugeborene liegen in Brutkästen wie auf dem Fließband aufgereiht.
Ein Kind liegt auf der Waage und scheint zum „sofortigen Gebrauch“, als Mitnahmekind bestimmt. Ärzte und Wissenschaftler üben die künstliche Befruchtung an Puppen, experimentieren mit Mutter und Kind und erheben die Technologie zum Richter einer makellosen Empfängnis. Der klassische utopische Gedanke einer kollektiven Nachwuchshaltung wurde in Platons Der Staat dargelegt, in Aldous Huxleys Brave New World, der schönen neuen Welt persifliert und ist heutzutage als Idee weit verbreitet.
Die Tatsache, dass sich Taisia Korotkova in ihren Arbeiten mit Fragen der Genealogie, wissenschaftlicher Utopie und sozialen Misständen beschäftigt, ist rein zufällig.
Nichts sprach für eine solche Entwicklung.
Bevor sie sich der zeitgenössischen Kunst zuwandte und eine eigene Bildsprache entwickelte, studierte sie am Surikov Institut in Moskau, einer Bastion des sozialistischen Realismus’, der sich um 1900 unter Ilya Repin entwickelt hatte. Bis heute ist das Institut unberührt von zeitgenössischer Kunstgeschichte und Theorie. Taisia Korotkovas Eltern sind beide Künstler, ihr Großvater, Nikolai Sukoyan, gehörte zu den führenden Architekten der Sowjetunion. Er erbaute eines der Wahrzeichen der russischen Hauptstadt, das Zentrale Haus des Künstlers, in dem heute unter anderem die Neue Tretjakow Galerie und die Kunstmesse Art Moscow untergebracht sind.
So spiegeln sich in ihrer Technik Biographie und Studien: Sie wendet die traditionelle Methode der Ikonenmalerei – Tempera auf Holz – an, malt aber in kalten Pastelltönen, die wiederum an die optimistischen sowjetischen Illustrationen der 60er Jahre erinnern. Und entwickelt daraus ihre eigene Bildsprache, um Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu skizzieren. Das Resultat ist eine neugierige Art von Ikonographie, die die Arbeitsstrukturen der modernen Welt abbildet und den Betrachter nach den Kräften zu fragen inspiriert, die Prozesse in Gang setzen und nicht nach denen, die sie sie zum Stillstand bringen, noch ehe die Dinge in Bewegung geraten sind.
Taisia Korotkova wurde 1980 in Moskau geboren. Mit zwei ihrer Arbeiten aus der Reproduction Serie ist sie im Dezember 2010 mit dem renommierten Kandinsky Prize in der Kategorie Junge Kunst ausgezeichnet worden. Korotkova hatte 2011 Einzelausstellungen in Berlin und London. Außerdem hat sie an verschiedenen Gruppenausstellungen teilgenommen wie Swedisch Family (Uppsala) und der 4. Moscow Biennale für zeitgenössische Kunst (2011).
Sputnik Art Foundation hat sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe der Neuen Medien über russische und internationale zeitgenössische Kunst zu informieren und neue Ausstellungsformate zu konzipieren. Während der Ausstellung stellt Sputnik einen elektronischen Katalog zum Werk von Taisia Korotkova bereit.
Zudem hat Sputnik eine Serie elektronischer Kataloge zu zeitgenössischen Künstlern aus Russland produziert und auf Multimedia basierende Ausstellungen konzipiert.